KonScience wird 30 Folgen alt/lang/breit! Zum Herbstanfang wenden wir uns einigen interessanten Symbiosen von Zwergtintenfischen um Hawaii zu, sowie einer Bedrohung für die Genauigkeit von Kohlenstoff-14-Datierungen, den Gründen für die ungewöhnlich schnelle Artbildung bei den Orchidee, und der Möglichkeit, dass Menschen landwirtschaftliche Versuchsfelder schon kurz nach dem Maximum der letzten Eiszeit und damit lange vor der agrarischen Revolution in Mesopotamien angelegt haben könnten. Außerdem gibt es natürlich die Auflösung des CRISPR-Cliffhangers aus Folge 29. Man kann Genomeditierung nämlich auch für die Wiederbelebung ausgestorbener Arten verwenden. Aber sollte man? Und wenn ja, wie viele?
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Henry |
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Sendungsnotizen
Wissenschaftsnachrichten
Bobs Bakterien
- Crookes et al. (2004) Reflectins: The Unusual Proteins of Squid Reflective Tissues. Science 303.5655 (2004): 235-238.
- Collins et al. (2015) Comparative genomics of Roseobacter clade bacteria isolated from the accessory nidamental gland of Euprymna scolopes. Frontiers in microbiology 6.
- Bobtail Squid (Euprymna scolopes) ist eine Zwergtintenfischart aus den Flachgewässern rund um Hawaii, die vor allem für ihre ungewöhnlichen, lichtreflektierenden Proteine und ihre enge Symbiose mit dem Leuchtbakterium Aliivibrio fischeri bekannt ist.
- Neue Erkenntnisse zeigen, dass in diesen Tintenfischen zusätzlich zum Leuchtorgan ein weiteres Organ mit verschiedenen symbiontischen Bakterien besiedelt ist. Die meisten dieser Bakterien gehören zur Gruppe der Roseobakterien und können ihrer Umgebung Eisen entziehen, was die Besiedelung mit anderen Bakterien und Pilzen verhindern kann.
- Bei der Eiablage werden die Eier mit diesen Bakterien und einem Glibber umhüllt. Vermutlich schützen die Bakterien die Eier vor Befall, was in Anbetracht der fehlenden Brutpflege bei Bobtail Squid unerlässlich ist.
Zukunfts- UND Vergangenheitsverschmutzung
- Graven (2015) Impact of fossil fuel emissions on atmospheric radiocarbon and various applications of radiocarbon over this century 10.1073/pnas.1504467112
- Radiokarbondatierung, Isotope, Schweres Wasser,
- natürlicher, atmosphärischer 14-C-Gehalt gleicht sich global aus & wird durch Nahrungskette durchgereicht
- ab Sterbezeitpunkt: radioaktiver Zerfall des 14-C => Bestimmung der Gehalts einer Probe erlaubt Berechnung des Sterbezeitpunkts
- Verbrennung fossiler Rohstoffe verdünnt Atmosphäre mit 14-C-freiem CO2 => Organismen lagern weniger C-14 ein => erscheinen für spätere Archäologen älter
- Atombomben: künstlich, höheres 14-C-Verhältnis = Verjüngung, weil Zerfall von höherem Niveau => Probe hat bei gleichem Alter mehr 14-C, als Probe aus normaler Atmosphäre
- Modellierung der Atmosphärenalterung nach Representative Concentration Pathways (CO2-Emissionsszenarien) aus IPCC-Berichten
- Unterschreiten des vorindustriellen 14-C-Verhältnisses => künstliche Alterung von 30 Jahren in Datierungsberechnung pro Jahr CO2-Aufnahme
- business as usual: Proben aus 2050 nicht unterscheidbar von 1000y älteren => schwierigere Radiokarbondatierung kontextloser Funde
- auch: größere Unsicherheit der Ergebnisse von Altersbestimmung bei Wein, Whiskey & Elfenbein, sowie in Kriminalforensik (insb. Bestimmung, ob vor 1950 & nach 1963)
- allein Erhalt der aktuellen Datierungsgenauigkeit erfordert Verdopplung der 14-C-Messgenauigkeit
Erfolgreich nicht nur im Wohnzimmer
- Givnish et al. (2015) Orchid phylogenomics and multiple drivers of their extraordinary diversification. Proc. R. Soc. B 282: 20151553.
- Orchideen sind die artenreichste Familie im Pflanzenreich (>25’000 Arten)
- Schon Darwin hat sich gefragt, worin diese Diversität begründet liegt. Eine neue Phylogenie mit 39 Arten und 75 Chloroplastengenen verspricht Aufklärung.
- Vor ~112 Millionen Jahren sind die ersten Orchideen auf der Bildfläche erschienen, und haben seitdem eine Reihe von Spezialisierungen entwickelt, die unterschiedlich zur Artbildungsrate verschiedener Unterfamilien und Gattungen beigetragen haben (die ganz generell deutlich höher ist als die der näheren Verwandtschaft).
- Überraschend war vor allem, dass die Spezialisierung auf bestimmte Bestäuber, obgleich weit verbreitet, keinen großen Effekt auf die Artbildungsrate zu haben scheint.
- Die stärksten Kandidaten sind die Eroberung der Bäume (Epiphyten), die Besiedelung der höheren Lagen besonders in den Anden & Neuguineas zu sein, ebenso wie die Entwicklung des Crassulaceen-Säurestoffwechels.
- Letzterer ist mehrfach unabhängig voneinander entstanden, und ermöglicht es Pflanzen, die Wasserverdunstung und somit drohende Austrocknung zu minimieren.
- Diese drei Effekte lassen sich schwer voneinander trennen, da sie in den meisten Fällen miteinander einhergehen.
- Buch über Orchideen von Christian Ziegler: Trügerische Schönheiten
Proto-Weeds zeigen frühe Landwirtschaftsexperimente
- Snir, Nadel, … Weiss (2015) The Origin of Cultivation and Proto-Weeds, Long Before Neolithic Farming
- Nischenkonstruktion: Mensch gestalten Ökosysteme für sich selbst & domestizierte Pflanzen & Tiere
synanthropische
Organismen vermehren sich in menschliche gestalteten Ökosystemen besser als die Wildtypen
- Unkraut hier: Pflanzen, die Zusammensetzung und Funktion der natürlichen & menschlich gestalteten Ökosysteme verändern oder stören
- Proto-Unkräuter: erste synanthropische Formen von Wildpflanzen
- Ausgrabungsstätte: Ohalo II (im Letzteiszeitliches Maximum vor ca. 23T Jahren am Südwestufer See Genezareth)
- Artbestimmung der Pflanzensamen => Rekonstruktion der Ernährungsgewohnheiten
- 1/3 Gräser: wilde(r) Emmer, Gerste, Hafer => Vorläufer der 11T Jahre später in Mesopotamien domestizierten Getreide
- 10% heute bekannten Unkräutern => Herkunft & Zeitpunkt der
Einwanderung
in menschl. Einflussgebiete war bisher unbekannt
- Reifezeit & Überreste von Zugvögeln => Siedlung ganzjährig bewohnt
- Züchtung innerhalb weniger Menschenleben möglich?
- schnelle Evolution während Domestizierung?
- Zusammenfassung: früheste Hinweise auf Proto-Unkräuter vor der jungsteinzeitlichen Landwirtschaft
- Sichelkeile, hoher Anteil essbarer Grassamen & Ähnlichkeiten zu Getreiden: ebenfalls früheste Hinweise auf Domestizierungsversuche & planvolle Gräserernte
- Versuche mit Gras-/Getreidezüchtung fanden offenbar schon vor 23T Jahren statt
- bisher nicht in nahen, jüngeren Siedlungen gefunden => Züchtungsexperimente wieder eingestellt?
- lese auch:
Revolution auf Raten
vom ScienceblogWas geht?
Nachtrag: Personenschaft von Menschenaffen
- Initiative hatte inzwischen Erfolg und hat vor Gericht die Personenschaft für zwei Schimpansen erwirken können
- Die amerikanische NSF hatte aber zuvor schon beschlossen, dass alle Versuche und Forschungsinitiativen eingestellt werden müssen (seit Mitte des Jahres in Kraft)
Nachtrag zu Knowledge-Based Trust aus KNS028
- Lothar fragt: Würden Abhandlungen über Falschaussagen auch runtergerankt?
- Wissenschaftler einfach mal freundlich anschreiben!
- KBT-Modell nimmt nur Aussagen unter die Lupe, nicht deren Kontext
- keine Bevorzugung von Debunking-/Faktencheck-Websites
- höre auch: Echt jetzt? Die Wahrheit im Digitalen von Thomas Reintjes
Nachträge zu CRISPR aus KNS029
- Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) hatte schon Podcast (RSS) und Porträt einer Mitentdeckerin (Danke Henning!)
- omega tau 174 – Blood forming stem cells and gene editing discussion
- CRISPR/Cas-Zusammenfassung: bakterielles Immunsystem (wie Virenscanner mit Signaturen)
- Cas-Enzym: bindet crRNAs plus Sequenzkopien & schneidet
- muss nur selbst im Zielorganismus etabliert werden, bevor Genomeditierung mittels künstlicher crRNAs starten kann
- einfaches Schneiden => zelleigene Reparatur meist unkorrekt => Zielgen zerstört
- mutierte Reparaturvorlage => homologe Rekombination => gewünschte Genveränderung
Wiederbelebung ausgestorbener Arten mittels Genomeditierung
- 4. Anwendung neben Landwirtschaft, Gentherapie & Umweltmodifikation
- Ogden (2014) Extinction Is Forever… Or Is It?
- Rückzucht nahe verwandter Arten
- Klonen nur mit lebensfähigen Zellen (List of animals that have been cloned)
- Genomsynthese: Vergleich von aktuellem zu ausgestorbenem Genoms identifiziert CRISPR/Cas-Ziele
Artensterben und Wiederbelebung
- Magenbrüterfrösche, Beutelwolf, Wandertaube, Riesenbiber, Elefantenvögel, Haastadler, Homotherium, Australian megafauna, etc. (lese George Monbiot: Destroyer of Worlds & Like a Demon in a Medieval Book
- Ripple, Newsome, … Van Valkenburgh (2015) Collapse of the world’s largest herbivores (Science Advances) 10.1126/sciadv.1400103 (via The Conversation): 60% aller großer Pflanzenfresser (>75kg) vom Aussterben bedroht, v.A. durch menschl. Einflüsse
- Ziel von Umweltschutz: nicht Erhalt der Spezies oder ikonischer Individuen, sondern Population & Ökosystem (gegenseitige funktionale Beeinflussung)
- Stanley Temple at TEDxDeExtinction: A game-changer for conservation biology
- Wiederbelebung setzt passendes Habitat voraus (sonst: betreutes Überleben)
- Artenschutz billiger als Wiederbelebung
- Argumente pro Genomeditierung: höre KNS029
- contra:
[B]iotechnology cannot be disentangled from the technocapitalist apparatus […]
Weisberg (2015) Biotechnology as End Game: Ontological and Ethical Collapse in theBiotech Century
(NanoEthics) - außerdem: freier Lauf von Zufall & Umwelt führt auch zu individueller Ungerechtigkeit
- contra:
- vernünftige Regulierung nötig, aber wer bremsen will, muss auch wieder anfahren können!
Hausmeisterei
- KSL003 Markdown for (Bio)Scientists (Dank an Georg Holzmann von Auphonic für das Automatisieren der Kapitelbilderuploads)
- Unterhaltungsliteratur zur gesellschaftlichen Dimension von Gentechnik (Dank an Stefan vom Spoileralert für das Jingle!): 2312 (Kim Stanley Robinson) & Void (Rhiannon Lassiter)
Empfehlungen
- Radiolab: Shrink über Mimi-, Mama-, Mega- & Pandoraviren (siehe KNS008 & KNS0018)